Laufbericht UTMB/TDS 2014

UTMB – Ultra-Trail du Mont-Blanc

TDS – Sur les Traces des Ducs de Savoie (119 km)

Oder: Vom Hobbit, der um den südlichen Teil des Mont-Blanc lief

Hier kommt ihr direkt zum Fotostream mit vielen Impressionen von der Strecke!

Es ist geschafft: Der TDS, der zweitlängste Lauf beim UTMB für Einzelstarter, liegt hinter mir. Es war die krasseste Strecke (vom technischen Anspruch her) und gleichzeitig das genialste Rennen, an dem ich in meinem Läuferleben bisher teilgenommen habe. Wie es mir ergangen ist? Lest weiter…

Mit insgesamt fast 9.000 Startern auf den angebotenen Strecken des UTMB, ist der UTMB das mit Abstand größte Trail-Event weltweit (die Strecken: UTMB: 168 km, 9.600 HM; TDS: 119 km, 7.250 HM; CCC: 101 km, 6.100 HM; OCC: 53 km, 3.300 HM). Eine Strecke außer der Norm ist der PTL (Petit trotte à Léon – von petit kann allerdings keine Rede sein): Es geht ohne Wertung, in Teams mit drei Startern, nur ums Durchkommen über 295 km und 26.500 HM…

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Abbildung: Höhenprofil vom TDS

Durch die vorausgegangenen Etappenläufe hatte ich genug Qualifikationspunkte für den UTMB gesammelt und mich für diesen Lauf bereits im Dezember angemeldet. Neben den Qualifikationspunkten gibt es für den UTMB aber noch eine weitere Hürde zu meistern: Die Auslosung. Ich hatte Pech, durfte dafür aber beim TDS starten, sofern ich das denn wollte… Es folgte ein kurzer Streckencheck: TDS (Sur les Traces des Ducs de Savaoie = Auf den Spuren der Herzoge von Savoien), ein 119 km langer Lauf mit 7.250 HM, der vom italienischen Courmayeur – auf der Südostseite des Mont-Blancs – um die Südhälfte herum nach Chamonix führt, das auf der Nordwestseite des Bergs liegt. Von allen Läufen beim UTMB gilt der TDS als ruppigster, einsamster und technisch anspruchsvollster Lauf. Das hörte sich gut an, und so habe ich mich kurzerhand entschlossen, mich für diesen Lauf zu melden, anstatt meine UTMB-Loswahrscheinlichkeit für nächstes Jahr zu verdoppeln.

Kaum zwei Drittel Jahr und viele Trainingseinheiten später war es dann endlich soweit: Der TDS stand vor der Tür. Da ich Dienstag erst anreisen konnte, hatte ich mich zu einer Anreise per Flugzeug entschlossen, was sich als gute Wahl entpuppte, da an meinem Anreisetag gesamt Deutschland und die Alpen mit Dauerregen gesegnet waren und ich vermutlich 12 Stunden gefahren wäre.

So bestand die Anreise aus einer Autofahrt nach Frankfurt, einem Flug nach Genf und einer Fahrt mit einem Shuttleservice nach Chamonix. Als ich in Chamonix aus dem Shuttle stieg, wurden die Schleusen am Himmel komplett geöffnet und es kübelte wie aus Eimern. Um auf den 400 Metern Fußweg zur Startnummernausgabe nicht komplett durchnässt zu werden, musste ich tatsächlich in meine Regenjacke schlüpfen… Wie viel es tatsächlich geregnet hatte, konnte man an der Arve sehen, dem Fluss, der durch Chamonix fließt: Dieser war kurz davor, den Ort zu überfluten und die Feuerwehr sperrte bereits Teile der Promenade ab. Das Rumpeln der Steine im Flussbett war allgegenwärtig. Wie würden die Trails am Folgetag aussehen? Würde das Wetter wirklich aufreißen wie gemeldet?!

Durch den Rucksackcheck bei der Ausgabe der Startnummern gestaltete sich diese wie erwartet leider etwas zäh. Alle Teilnehmer mussten vier per Zufall ausgewählte Gegenstände der Pflichtausstattung zur Prüfung vorzeigen und unterschreiben, die Pflichtausstattung während des Laufs immer mitzuführen. Für manche Teilnehmer war hier bereits Ende (oder an der Zeit nochmal nachzubessern), für mich ging es dann aber über mehrere Stationen zur Ausgabe der Startunterlagen, eines Teilnehmershirts, der Drop-Bags und diverser Gimmmicks. 1 1/2 Stunden später war ich dann mit dem ganzen Prozedere endlich durch.

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Pflichtausstattung beim TDS

Nach einer letzten Busfahrt durch den 11,6 km langen Mont-Blanc-Tunnel nach Courmayeur und einem 10-minütigen Fußmarsch zu meinem Hotel in den Ortsteil Dolonne, war meine Anreise dann auch zu Ende. Das Zimmer war nett, das Badezimmer allerdings für Hobbits. Ich konnte zumindest nicht aufrecht dort stehen und musste sogar im Sitzen duschen. Nachdem ich mir gefühlte 20 Mal den Kopf gestoßen hatte, habe ich mich aus Selbstschutz nur noch gebückt bewegt. Der Glöckner von Notre-Dame hätte sich wahrscheinlich wohl gefühlt… :o)

Sollte mich aber nicht weiter stören, da ich ja eh kaum mein Zimmer nutzen würde. Kurzes Rucksackpacken, Rauslegen der Laufsachen für den nächsen Morgen und ein leckeres Abendessen im Hotelrestaurant später, dann war für mich frühes Schlafen angesagt.

Am nächsten Morgen war dann Aufstehen um 04:45 Uhr, Frühstücken und letztes Vorbereiten der Ausrüstung auf der Agenda. 6:15 Uhr dann folgte der 10-minütige Fußmarsch nach Courmayeur. Dort wimmelte es bereits von Läufern. Alle gaben ihre Drop-Bags ab und reihten sich in gespannter Vorfreude in die Startaufstellung ein. Das Wetter würde grandios werden und der Gipfel des Mont-Blancs grüßte uns schon im Licht der ersten Sonnenstrahlen.

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Kurz vor 7:00 Uhr kam dann der Hubschrauber für die Videoaufzeichnungen, die Stimmung stieg an und um 7:00 Uhr wurden wir endlich auf die Reise geschickt. Durch die engen Gassen von Courmayeur rannten wir auf die andere Talseite nach Dolonne hinüber.

Nach 1,5 km lockeren Einrollens ging es dann in den ersten 1.300 Höhenmeter andauernden Anstieg zum Arête Mont-Favre hinauf. Nach und nach klappten und schraubten immer mehr Läufer um mich herum ihre Stöcke auseinander. Als ich meine Stöcke ausklappen wollte, funktionierte der Mechanismus zur Arretierung nicht. Ich konnte es nicht fassen: Ich hatte vom Support des Stockherstellers bereits Ersatzstöcke bekommen, da mein erstes Paar Stöcke sich nicht mehr zusammen falten ließ. Zu enge Passungen konnten in seltenen Fällen bei den ersten Modellen wohl zu Kaltverschweißungen führen. Und jetzt das ganze schon wieder, obwohl die Stöcke im Training tadellos funktioniert hatten. Ich hätte kotzen können (anders kann man das nicht ausdrücken). Obwohl ich wusste, dass ich nichts würde bewegen können, versuchte ich mit Gewalt den Arretiermechanismus zu lösen. Keine Chance. Wenig später bemerkte ich, dass meine ganze Hand voll Blut war. Bei meinen Verrenkungen hatte ich mir an den Rohrstücken ein Stück Haut neben meinem Fingernagel weggesäbelt. „Merde“ oder „Merda“ hätte ich wohl schreien sollen. Das fing ja alles super an: Noch über 7.000 Höhenmeter ohne Stöcke vor mir und mein Finger blutete als wäre ich angestochen worden. Nach 15 Minuten hatte ich die Wunde dann durch Abdrücken gestillt, auf mein Erste-Hilfe-Set aus dem Rucksack hatte ich keinen Nerv.

Nach 800 HM passierten wir die erste Verpflegungsstelle, und meine Stöcke wanderten mit entsprechenden Verwünschungen in die Mülltonne. Den Müll würde ich nicht noch 113 km mit mir rumschleppen. Hatte ich eine Wut im Bauch. Mittlerweile hatte ich mir eingeredet: „Jetzt erst recht!“ Auch wenn ich immer mit Stöcken trainiert und diese wirklich zu schätzen gelernt hatte, würde ich auch ohne Stöcke über die Runden kommen. Immerhin entpuppte sich mein neuer Faltbecher als perfekte Anschaffung und ich brauchte keinen Gedanken an das Yps-Gimmick vom Zugspitz-Ultratrail verschwenden.

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Mittlerweile hatte ich auch wieder einen Blick für die Landschaft. Großartig! Ein riesig breites Tal, rechter Hand die Gletscher und der Gipfel des Mont-Blancs. Was ein Anblick! Schließlich war Arête Mont-Favre erreicht und es ging in den ersten Abstieg hinunter zum Gletschersee Lac de Combal. Der erste technische Trail und ich hatte richtig Spaß in den Backen. Nach 400 HM Abstieg über Steine, Wurzeln, immer wieder Kreuzen von Bachläufen, erreichten wir die Ebene des Sees, die durch eine Gletscherstauung entstanden und ein seltsam plattes Plateau inmitten der Berge ist. Gefühlt war hier Windstärke 8 und man musste beim Laufen aufpassen, nicht vom Weg geblasen zu werden. Am Ende des Plateaus war die nächste Verpflegungsstelle erreicht, und es war Zeit zum Auffüllen des Rucksacks. Dieses Rennen sollte Nudelsuppe mein favorisiertes Essen werden. Auftanken war an dieser Verpflegung durchaus wichtig, denn die nächste Verpflegungsstelle würde erst nach 20 km kommen.

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Frisch gestärkt machte ich mich auf den Weg hinauf zum ersten Pass, dem Col Chavanne. Nach einem halbwegs flachen Stück durch ein tolles Hochtal folgte der Anstieg auf immer steiler werdenden Trails. 95 % schoben sich mit ihren Stöcken hinauf. 5 % Deppen kämpften ohne. Unter ihnen ich. Toll… Trotzdem kam ich schließlich oben an. Kurzer Blick zurück zum Mont-Blanc – einfach großartig – und es folgte ein langer Abstieg entlang der Almen im Vallon de Chavannes. Steigung und Weg waren hier ausnahmsweise einfach und man konnte gut Kilometer machen. Nach einigen Metern zweigte unser Weg von dem Fahrweg ab in eine Wiese, die zusehens matschiger, schlüpfriger und löchriger wurde. Ich dachte noch: „Oh, hier musst du aber aufpassen!“… Und ein paar Schritte später war ich bis zum Knie in einem Loch versunken. Schnell hatte ich mich aber wieder aufgerappelt und weiter ging es hinab. Eine Brücke führte über einen Fluss, dann ging es auf der anderen Talseite Richtung Lac de Verney und der nächsten Verpflegung am Col du Petit Saint-Bernard hinauf. Der Fahrweg mündete bald wieder in schlammige Trails, durch traumhafte Wiesen entlang des Sees und dann durch ein merkwürdiges Heckengewächs mit unendlicher Steigung hinauf zum Pass. Meinen Rucksack samt Zusatzflasche hatte ich mittlerweise leer getrunken und ich war froh, als endlich die Verpflegung erreicht war. Mittlerweile hatte ich echt Hunger: Als Hors d’oeuvre gab es Schokolade, als Hauptgang Nudelsuppe und als Dessert Honigkuchen und Trockenfrüchte. Yum! Trinkblase und Wasserflasche mussten wieder mit Iso gefüllt werden. Da man von den Stationen nur Wasser mitnehmen durfte, hatte ich mein eigenes Iso-Pulver dabei. Dank des tollen Windes hatte ich etwa 3/4 des Pulvers in meiner Trinkblase, den Rest aber verteilt auf Rucksack und Händen. Da hätte ich fast gar keinen Trageriemen mehr gebraucht, sondern hätte den Rucksack auch festkleben können. Herrlich. Aber nach dem Stockproblem konnte mich so eine Kleinigkeit nicht aus dem Konzept bringen… :o)

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Weiter ging es also über einen alten Römerweg, der bereits seit 2.000 Jahren existieren soll, nach Bourg Saint-Maurice. Diese relativ einfachen Kilometer sollten die letzten ihrer Art sein. Nach 1.300 HM Abstieg, anfangs über Fahrwege, dann über tolle Trails, war Bourg Saint-Maurice schließlich erreicht. Neben der obligatorischen Verpflegungsaufnahme stand hier wieder ein Ausrüstungscheck an und zwei Gegenstände aus dem Rucksack mussten präsentiert werden. 50 KM und 2.400 HM waren absolviert und jetzt würde der heftige Teil der Strecke beginnen. Bisher war mehr oder weniger zum „Einrollen“.

Als nächstes standen fast 2.000 Höhenmeter durchgängigen Aufstiegs zum Passeur de Pralognan auf dem Programm. Bereits nach wenigen Metern wurden die Straßen von Bourg Saint-Maurice durch Trails abgelöst und steil und der Sonne exponiert, schraubten wir uns schnell höher. Kurz nach dem ersten Fort, das die Franzosen Ende des 19. Jahrhunderts aufgrund Scharmüzeln mit den Italienern errichtet hatten, musste ich eine Pause einlegen und kurz nachtanken. Hungerast. Mit einem Mal war die Kraft weg. Ähnliches hatte ich auch weiter unten schon bei dem ein oder anderen Teilnehmer beobachtet. Zwei Gels, einen Riegel und einen kräftigen Schluck aus der Pulle später, fühlte ich mich wieder etwas besser und setzte meinen Aufstieg mit beständigen Schritten fort. Nach und nach fühlte ich mich etwas besser – der Zucker muss ja erst ins Blut – und irgendwo nach dem Fort de la Platte war ich wieder auf normaler Leistungsfähigkeit – sofern man davon nach 60 km und 3700 HM noch sprechen kann. Technisch anspruchsvoll ging es über den Col de la Forclaz hinauf zum Passeur de Pralognan, dem man sich durch steile, mit Felsen durchsetzte Wiesen nähert. Die Rückseite des Passes hat es aber völlig in sich: Rund 200 Meter seilversicherte Passagen. Und die Seile hängen dort nicht ohne Grund. Ich war froh, hier im Hellen runter zu können und die Stelle nicht erst bei Dunkelheit erreicht zu haben. Zwar hätte es zusätzlich Licht durch Scheinwerfer gegeben, aber trotzdem…

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Der Kletterpassage folgten riesige Geröllfelder, die schließlich in technisch höchst anspruchsvolle Trails mündeten. Immer wieder gab es Stellen, an denen ich – mangels meiner Stöcke – immer wieder die Hände zu Hilfe nehmen musste, um irgendwelche Steine hinunter zu kommen. Der Hammer! Nach rund 500 Metern knallharten Abstiegs kam ich schließlich auf einen Fahrweg, der in der Ebene Richtung Cormet de Roselend führte, einem Pass, an dem endlich die nächste Verpflegungsstelle erreicht sein würde. 16 km, für die ich fast fünf Stunden gebraucht hatte. Entsprechend waren meine Vorräte im Rucksack auch wieder auf Vakuumniveau abgesunken…

In dieser Verpflegungsstelle, die übrigens immer aus großen Zelten bestanden, die auch bei schlechtem Wetter Schutz geboten hätten, waren die Drop-Bags gelagert. Mit dem deponierten Handtuch habe ich mich erst einmal schnell trocken gerubbelt und anschließend ein frisches T-Shirt angezogen. Außerdem konnte ich mein Iso-Pulver und Gel wieder auffüllen. Nach einer weiteren Suppe und Honigkuchen ging es auf den nächsten Streckenabschnitt, der für mich vorerst der letzte bei Tageslicht sein sollte. Auffüllen war enorm wichtig, da bis zur nächsten Verpflegungsstelle 19 km zurückzulegen waren.

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Vom Cormet aus folgte die Strecke zuerst einem allmählich ansteigenden Fahrweg, um dann aber schnell wieder in steile, matschige Trails überzugehen, die uns zum Col de la Sauce führten. Die Strecke ging hier in felsige und mit Steinen übersähte Abschnitte über, wurde im Abstieg aber schnell wieder durch Wiese und Matsch geprägt. Ich war noch erstaunlich gut unterwegs und fühlte mich auch den Umständen entsprechend frisch. Im Abstieg gelangte ich an eine Schlucht, deren Passage nur über den „Chemin du curé“ möglich ist, eine etwas 350 Meter langen Weg, der Ende des 19. Jahrhunderts durch den Fels gehauen wurde. Schwer beeindruckend: Auf der einen Seite die tiefe Schlucht, ohne wirkliche Brüstung, über einem der überhängende Fels. Vom Punkt der Bergwacht, die am Beginn der Passage ein Feuer angezündet hatte, liefen ein paar Streckenmarkierer mit mir hinab, mit denen ich eine nette Unterhaltung hatte und sich der Abstieg kürzer anfühlte als er eigentlich war. Mittlerweile dämmerte es und ich war froh, La Gitte in der Talsohle noch rechtzeitg zu erreichen, um dort meine Stirnlampe auspacken und betriebsbereit machen zu können.

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Nach kurzer Rast führte ein rund 700 HM langer Anstieg auf den Col de Gitte hinauf. Vor und hinter mir waren nur mit jeweils einigem Abstand Stirnlampen zu erblicken und der eigentliche Weg war somit nur durch die reflektierenden Bereiche der Markierungspfosten zu sehen. Die Markierungstruppe hatte super Arbeit geleistet! Langsam, aber sicher wurden die Aufstiege sehr zäh und ich war froh, als ich oben ankam. Jetzt nur noch bergab und schnell zur nächsten Verpflegungsstation, die bald kommen müsste! Doch was war das? Wollten die mich vereimern?! Die Stirnlampenlichterkette befand sich plötzlich wieder in einem Anstieg! Ich zauberte das Höhenprofil aus meiner Fronttasche des Rucksacks: Verdammt. Da hatte ich doch glatt einen ca. 200 HM „Huppel“ übersehen. Der hatte es steigungsmäßig in sich und bot kurz vor dem höchsten Punkt noch eine kleine Kraxelpassage. Dann ging es aber wirklich nur noch eben oder bergab bis zur Verpflegung am Col du Joly, die bereits von weitem durch laute Musik zu hören war. Auch hier gab es wieder die obligatorische Versorgung und zwei Nudelsuppen brachten neue Kraft. Mittlerweile setzten mir die absolvierten 85 km und 5.700 HM zu. Jetzt würde es aber erst einmal 800 HM bergab gehen und anschließend lag nur noch ein Berg vor mir. Also: Rucksack wieder auf und los.

Mit zwei Franzosen machte ich mich gemeinsam in den abwärts führenden Trail. Auch hier wieder technisch anspruchsvollstes Gelände mit viel Schlamm, rutschigen Stellen, Steinen und mit Wurzeln überzogenen Abschnitten. Die Franzosen demonstrierten eindrucksvoll, auf welch verschiedene Weisen man sich lang machen kann: Einer fiel mit seiner gesamten Seite in ein Schlammloch, der andere flog kurze Zeit später im hohen Bogen links die Böschung hinunter. Kurze Vergewisserung: „Nein, nichts passiert!“. Und weiter ging die Reise hinab. Irgendwann mündete der Trail schließlich in einen Fahrweg und ich war der Überzeugung, dass somit jetzt einfacheres Terrain bis ins Tal folgen würde. Doch weit gefehlt: Der Fahrweg bestand weitestgehend aus riesigen, behauenen Naturfelsen. Stellenweise nass und glatt, stellenweise einfach nur huppelig. Somit war „Hallo wach!“ angesagt, um nicht der Länge nach auf die Nase zu fliegen. Endlich war die Talsohle erreicht und es ging einige Kilometer im flachen Gelände weiter. Viele gingen hier, wo ich locker laufen konnte. Bis zur Verpflegungsstation zog es sich wie Kaugummi, aber dann kam doch endlich der Ort Les Contamines und damit die Verpflegungsstation in Sicht. Auf der Straße wurde ich – trotz später Stunde, es war schließlich schon 1:00 Uhr nachts – immer wieder mit „Sebastian! Allez!“ oder „Bon courage!“ angefeuert.

Mit Erreichen der Verpflegung waren 95 km und 5760 HM absolviert. Die 14 km bis zur nächsten Verpflegung würden es nochmal richtig in sich haben: 1300 HM Aufstieg und 1500 HM Abstieg, also galt es nochmal den Rucksack und den eigenen Akku zu füllen. Beim Essen der Suppe wurde es mir in dem halboffenen Zelt saukalt. Ich beschloss, mir dickere Sachen anzuziehen und krempelte meinen gesamten Rucksack auf der Suche nach meinem langärmligen Shirt um. Darin gekleidet, fühlte es sich gleich besser und wärmer an. Beim Wechseln des Akkus meiner Hauptstirnlampe bahnte sich dann die nächste Katastrophe an. Aufgrund aufkommender Müdigkeit, Sauerstoffmangel im Gehirn oder vielleicht einer Mischung von beidem, gelang es mir nicht, den Akku mit dem dafür vorgesehenen Klettband am Rucksack zu befestigen. Ich hoffe, mich hat niemand gefilmt, denn eigentlich wäre es ganz einfach gewesen. Als ich den Akku dann endlich fest hatte, den Rucksack geschultert und vorne zugeschnallt und die Stirnlampe anschalten wollte, da tat sich: Nichts. Kein Licht. Was eine „grosse merde“! Das ganze Geraffel also wieder ab. Batterien in die Ersatzstirnlampe, diese auf den Kopf, den halbvollen Akku der Hauptstirnlampe wieder an den Rucksack dran und die Hauptstirnlampe gut greifbar ins Seitenfach vom Rucksack. Neben mir entledigte sich eine Läuferin gerade einiger überflüssiger Gels, die sie vorher irgendwann gegessen hatte… Gut, dass ich einen Pferdemagen habe! Nochmal die Klettfrimelei, dank Lerneffekt allerdings etwas schneller. Da mir immer noch nicht richtig warm war und ich den Rucksack nochmal ab hatte, habe ich dann direkt noch Handschuhe und Mütze ausgegraben und mich dann nach 45 Minuten (!) wieder auf den Weg gemacht. Was eine „merde“…

Der folgende Anstieg war ohne Erbarmen. Irgendein Idiot hatte vom Ortskern aus einen Fahrweg senkrecht den Berg hoch gebaut, mit sicher 25 bis 30 % Steigung. Vor und hinter mir stapften mit konstanter Geschwindigkeit ein paar Stirnlampen her. Keiner hatte mehr richtig Saft. Irgendwann kam mir ein Auto entgegen, bog aber ab. Ich wollte mich gerade wundern, was hier oben ein Auto rumfährt, als ich hinter mir jemanden rufen hörte „Hello! Wrong way!“. Ich drehte mich um und bemerkte, dass ich tatsächlich die Abzweigung in den Pfad verpasst hatte, der uns weiter nach oben führen sollte. Ich bedankte mich und wir quälten uns gemeinsam weiter den Berg hinauf. Auch der Franzose war ziemlich im Eimer. Irgendwann waren die ersten 600 HM vorbei und wir erreichten ein kleines Plateau, von dem ein – wie sollte es anders sein – technisch anspruchsvoller Pfad wieder gute 250 Höhenmeter nach unten führte. Gott, war diese Ersatzstirnlampe schlecht. Eigentlich schon eine gute Lampe, aber für solch technisches Terrain einfach für den Hintern. Meine Füße fühlten sich mittlerweile an, als wenn sie nicht mehr in die Laufschuhe passten. Mehrfach hatte ich mir bereits die Zehen gestoßen und wollte eigentlich nicht wissen, wie diese hinterher aussehen würden. Irgendwo unten konnte man das Rauschen eines Bachs hören, es konnte also nicht mehr so weit hintuntergehen. Gegenüber konnte ich eine Serpentinenstraße sehen. Nee, keine Straße. Was sah man denn da? Die Lichter bewegten sich. Das waren alles Läufer, die zum Col de Tricot hochackerten. Der Col de Tricot gleicht von der Südseite her einer Wand. Ich bin noch nie einen so steilen Anstieg hochgestiegen. Teilweise so steil, dass ich ohne Stöcke nicht wusste, wie ich gehen soll. Festhalten wäre toll gewesen, doch es war nichts zum Festhalten da. Zwischendurch gab es dann die eine oder andere Serpentine, aber auch diese brachten wenig Entlastung. Oben leuchteten zwei Scheinwerfer, die den höchsten Punkt des Passes markierten. Toll, danke für die Motivation. Meine Geschwindigkeit lag vermutlich zwischen ein und zwei Kilometern pro Stunde. Wie sollte ich da jemals oben ankommen? Immer wieder saß irgendwer fertig am Rand und machte Pause, mich eingeschlossen. In diesem Hang habe ich zig Plätze verloren und verflucht, dass ich keine Stöcke hatte. Irgendwann dann war ich endlich oben. Pause. Nur Pause. Ich setzte mich neben einen anderen Teilnehmer, der nur meinte „I’m done!“. „Me, too!“. Wir hätten uns auch ohne Worte verstanden.

Ein Gel und Anschließen meiner Hauptstirnlampe später, machte ich mich in den letzten Abstieg. Brutal harter Trail, ohne Erbarmen. Teilweise tiefe Rinnen, immer wieder steinige, sehr tiefe Stufen, die bei mir mangels Stöcken nur mir Hilfe der Hände zu meistern waren. Von unten wurde das Rauschen eines wilden Bachs immer lauter: Ein Gletscherbach, der über eine wackelige Hängebrücke überquert werden musste. Es folgte ein letzter Aufstieg und schließlich rief mir jemand zu „Just 4 km downhill from here!“. Da wir ein Haus erreicht hatten, hoffte ich auf einen einfachen Fahrweg, wurde aber wieder enttäuscht. Bis auf den letzten km vor Les Houches war brutalster Trail zu meistern. Ein Engländer vor mir machte plötzlich den Abflug und ein Franzose und ich zogen ihn wieder aus der Böschung – „I’m ok. Just got stung by that stupid plant!“. Für mich war hier mit Bergablaufen Ende. Die Oberschenkel waren einfach dicht und ich wollte kein Risiko mehr eingehen. Schnellen Schrittes nahm ich die letzen km nach Les Houches.

In der letzten Verpflegung traf ich einen Türken, der zu mir meinte „What a crazy race!“. Wir plauderten kurz auf englisch, dann meinte er „Ach, du kommst ja aus Deutschland! Ich auch!“. Nachdem wir uns beide kurz abgerollt hatten, machten wir uns dann gemeinsam auf die letzten km. Auf Laufen hatten wir beide keine Lust mehr und so „speedhikten“ wir die letzten km Richtung Chamonix. Am Ortsrand von Chamonix gingen wir dann wieder in den Laufschritt über, und genossen es, die letzten km bis ins Ziel zu traben. Fertig! 119 km mit 7250 HM in 24:54:36 h – ohne Stöcke. Platz 246 von 1421 Männern, von denen nur 962 das Ziel erreicht haben… Insgesamt waren 1586 Teilnehmer gestartet, obwohl über 1900 angemeldet waren. Wer nicht richtig fit ist, bleibt lieber direkt zu Hause und das ist auch besser so. :o)

Im Ziel bekamen wir die zum UTMB gehörende Finisher-Weste und im folgenden Verpflegungszelt direkt ein leckeres Bier! Nach einem gemeinsamen Frühstück bin ich dann mit dem Bus zurück in meine Hobbithöhle nach Courmayeur gefahren und habe den restlichen Tag im Bett verbracht. Einen Tag später ging es dann wieder nach Hause.

Was bleibt zu sagen?

Es war die abgefahrenste Strecke, die ich bisher in den Alpen gelaufen bin. Die Franzosen scheinen sich die schwierigsten Wege um die Südhälfte des Mont-Blanc-Massivs für den TDS herausgepickt zu haben. Ob es Spaß gemacht hat? Zu 100 %. Schon während des Laufs stand fest: Nächstes Jahr neuer Versuch für den UTMB. Die gesamte UTMB-Veranstaltung hat etwas Spezielles! Ob es an den riesigen Bergen liegt, an der Atmosphäre der zu tausenden anwesenden Sportler? Ich weiß es nicht. Egal, eine Teilnahme lohnt sich auf jeden Fall. Ob der TDS eine lohnenswerte Strecke ist? Auf jeden Fall! Wenn kein UTMB-Platz, dann würde ich auch den TDS direkt wieder mitmachen – aber dann mit Stöcken und funktionsfähigem Ersatzakku. Wäre doch gelacht, wenn ich nicht unter 24 Stunden bleiben könnte.

Ach ja: 16.582 kcal habe ich übrigens verbraucht. :o)

Funktionscheck:
– keine Blasen
– ein leichter Wolf, aber nicht wie an der Zugspitze
– fünf blaue Zehen, der krassen Strecke geschuldet
– Muskelkater 8 auf der Skala bis 10
– immense Müdigkeit, auch ein paar Tage später bin ich abends noch platt

Auch jetzt heißt es schnell wieder regenerieren, um in zwei Wochen ausreichend Saft für die Staffel beim P-Weg zu haben. Danach ist die Laufsaison dann für mich zu Ende und ich werde einen Gang zurückschalten.

 

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