Ultra-Trail du Mont-Blanc Laufbericht 2016

L’UTMB: Je t’aime!

Alle Fotos in groß hier im iCloud-Fotostream!

Als Mitorganisator des P-Weg-Marathonwochenendes bekam ich vor einigen Jahren die Anfrage, ob der P-Weg Qualifikationspunkte für den UTMB bringen würde. UTMB hatte ich zwar schon gehört, Ultra-Trail du Mont-Blanc, mich aber nie näher mit beschäftigt, weil Marathon für mich zu diesem Zeitpunkt als unüberwindbare Grenze im Kopf eingebrannt war. Um eine Distanz von damals 168 km und 9.600 HM zurückzulegen, musste man ja schon einen ganz schönen Vogel haben.

Naja, was soll ich sagen? Einige Jahre später, gehöre ich auch zu denen, die diesen Vogel haben. Und ich bin stolz darauf!

Durch langsames Herantasten über Bergmarathon, Etappenläufe und Ultradistanzen sammelten sich in den letzten Jahren mehr und mehr Qualifikationspunkte an, so dass ich mich gefragt habe: Wenn 100 km funktionieren, warum dann nicht auch 170 km?

So habe ich mich vor drei Jahren erstmals beim UTMB angemeldet, hatte aber kein Losglück und bin daher auf der 119 km langen TDS-Strecke derselben Rennserie gestartet. Der Zauber der Rennen in und um Chamonix hatte mich damit in seinen Fängen: Im Folgejahr ging ich wieder mit einer Niete aus der Verlosung der Startplätze hervor, aber im dritten Jahr hatte ich endlich Glück und somit stand fest, dass ich am 26.8. in Chamonix beim UTMB starten würde.

Vorbereitungen

Nachdem ich gut über den Winter gekommen war und mich im Februar in der Sportklinik Hellersen meiner obligatorischen Leistungsdiagnostik unterzogen hatte, ging es Anfang März mit dem Trainingsplan los, den ich für den TDS bereits erfolgreich angewendet hatte. Ganz konnte ich den Plan allerdings nie erfüllen und so hatte ich statt der maximal geplanten 9 Stunden pro Woche nur maximal 7 Stunden Training erreicht. Diese hatten mich allerdings erfolgreich um die Zugspitze gebracht, so dass ich auch für den Mont-Blanc guter Dinge war.

Fünf Wochen vor dem Lauf erwischte mich allerdings das Verletzungspech und ich zog mir bei einem Trainingslauf einen Muskelfaserriss im Oberschenkelbeuger zu, der mein restliches Trainingsprogramm jäh unterbrach. Bluterguss und ein dick geschwollener Muskel ließen nichts Gutes vermuten. Blackroll, Schwimmen und anschließend viele Wanderungen im Urlaub sollten dieses Loch aber hoffentlich schließen. Und so war es zum Glück auch.

Prerace

Am 25.8. war es dann soweit: Anreise von München nach Chamonix. Es kam wie es kommen musste und ich hatte es wieder: Mein Stockproblem. Wie schon in vielen Läufen zuvor, sollte ich mich wieder über meine Stöcke ärgern. Dieses Mal hat mich die Technik meiner Stöcke allerdings schon bei der Anreise gehindert, da ich sie nicht auf ein verstaubares Packmaß für das Flugzeug zerlegt bekam. Kurzerhand wurden aus dem Keller Alternativstöcke eingepackt – ohne Stöcke wollte ich nicht starten. Die Anreise per Flugzeug nach Genf, Shuttlebus nach Chamonix und Bus nach Courmayeur verlief problemfrei und am späten Nachmittag konnte ich meine Utensilien im Hotel abstellen und machte mich anschließend auf den Weg zur Startnummernausgabe, für die es seit letztem Jahr eine Zweigstelle in Courmayeur gibt. Großartige Idee des Veranstalters, da ich bereits nach 15 Minuten alle Stationen, samt der Pflichtausrüstungskontrolle des Rucksacks, durchlaufen hatte. Somit blieb noch Zeit für einen Bummel durch die schöne Fußgängerzone von Courmayeur. In diversen Schaufenstern der Alpinausrüstungsgeschäfte blinkten mich nagelneue Stöcke an, aber ich blieb standhaft, hatte ich doch Ersatzstöcke aus dem Keller mitgebracht. Allerdings hatten diese eine nervige Feder eingebaut, in die man einen Teil der Kraft hineindrückt… Stattdessen aß ich eine leckere Pizza, einen gesunden Salat und abschließend ein dickes Eis, um mich dann zur Nachtruhe zurück ins Hotel zu trollen.

Am nächsten Morgen ging ich nach dem Frühstück zum 100 Meter entfernten Start des CCC (Courmayeur, Champex, Chamonix), einem der mit rund 100 km Distanz „kürzeren“ Läufe des UTMB. Erstmals Gänsehautatmosphäre. Ich bummelte durch den Ort und wunderte mich, warum die Läufer mehrfach vorbeikamen. Erst dachte ich an Schleifen, dann habe ich erst geschnallt, dass in Wellen gestartet wurde… 🙂

In einem der bereits geöffneten Alpinläden schaute ich mir dann doch nochmal die Stöcke an und griff letztlich doch zu. Ich hatte keine Lust mich den ganzen Lauf über meine Stöcke zu ärgern… Den restlichen Tag verbrachte ich dann mit Tasche packen, rumhängen, mit dem Bus nach Chamonix fahren und: Wieder rumhängen. Für Starts am Abend muss man echt gemacht sein…

Start

In Chamonix war es brütend heiß. Gefühlt 35° C und ich suchte Zuflucht in einer Sporthalle, um dann gegen 17:15 Uhr Richtung Startaufstellung zu gehen. Trotz Hitze war es dort bereits brechend voll und ich stand gefühlt im hinterletzten Teil des Felds. Toll. Das würde ja eine nette Überholerei werden. Als die Zeit langsam Richtung Startschuss verrann, ertönten die ersten Klänge von Vangelis Conquest of paradise und es gab – glaube ich – nicht einen Teilnehmer, der nicht Gänsehaut hatte. Pünktlich um 18:00 Uhr wurden wir 2.500 Läufer dann auf die „Reise“ geschickt, mit ihren 170 km Länge und 10.000 HM, Nonstop auf den Wegen der „Tour de Mont-Blanc“ einmal um den höchsten Berg Europas herum. Zig tausend Zuschauer peitschten uns aus Chamonix heraus. Eine solch magische Atmosphäre habe ich bei keinem der Läufe erlebt, an denen ich bislang teilgenommen habe – weder bei Trails, noch bei Straßenläufen. Auch nach zig mal Anschauen im Internet elektrisieren mich die Bilder immer noch völlig!

Die ersten 8 Kilometer führen über Asphalt und Forstwege von Chamonix über ein leicht welliges, aber überwiegend abschüssiges Terrain herunter nach Les Houches. Was eine Überholerei. Hätte ich mich bloß früher in den Startbereich gestellt, aber die Sorge, in der Sonne stehen zu müssen, war einfach zu groß.

Von Les Houches aus führte die Strecke in den ersten Anstieg und ich konnte meine neuen Stöcke einfach so auseinanderschieben. Völlig ohne Probleme. Es war fast so als wenn etwas fehlen würde… Der Anstieg führte in das Skigebiet zwischen Les Houches und St. Gervais. Mir kamen erste Zweifel über die Strecke auf… Skipiste rauf finde ich ja schon blöd, aber runter? Geht gar nicht. Aber ich hatte noch Hoffnung, da auf den verbleibenden 155 km ja noch bessere Streckenteile kommen konnten.

Schließlich kam ich in St. Gervais an und dachte, ich sei auf einem Volksfest. Was eine Party! Jeder in den Ort kommende Läufer wurde gefeiert als wenn es schon ins Ziel gehen würde. Ich näherte mich der ersten großen Verpflegungsstelle, winkte kurz in die Webcam und aß mich anschließend durchs Büffet. Die Stirnlampe fummelte ich auch aus meinem Rucksack und auf meinen Kopf, da langsam die Dämmerung einsetzte und ich dann nicht unterwegs nochmal extra anhalten müsste.

Weiter ging es leicht wellig bergauf längs einen Bach. Irgendwo saßen ein paar Menschen am Rand und beleuchteten den Trail. Mit jedem vorbeikommenden Läufer hörte man „Adidas“, „Salomon“, „Salomon“, „La Sportiva“ usw. Offensichtlich wurde eine Schuhstatistik erstellt. Der Weg folgte weiter dem Tal bis nach Les Contamines. Hier war ich beim TDS vor zwei Jahren ziemlich fertig, hatte zu dem Zeitpunkt aber auch ca. 60 km mehr in den Beinen. Auch hier habe ich wieder schnell verpflegt, meine Trinkblase gefüllt und mich mit einem Kuchen auf die Socken gemacht. Der Kuchen hätte mein weiteres Rennen fast vereitelt. Schon mal Knete gegessen?! So ähnlich stelle ich mir das Gefühl vor: Eine zähe klebrige Pampe im Mund, die überhaupt nicht weniger werden wollte. Ausspucken ging auch nicht, da überall jubelnde Zuschauer. Nach einigen Minuten hatte ich das Problem dann endlich kleingekaut und konnte mich wieder auf das Laufen konzentrieren. Immer noch top laufbar ging es Richtung Notre-Dame de la Gorge, bei dem die Straße in einen steilen, felsigen Weg mündet, den ich noch wunderbar vom Bergablaufen beim TDS im Kopf hatte. Dieses Mal war es aber stimmungsvoller, da uns die Zuschauer im Licht von Fackeln oder Öllampen den Berg hochpeitschten.

Bleierne Müdigkeit

Abgesehen vom Anziehen meiner Windjacke sind die Erinnerungen an den Aufstieg zum Croix de Bonhomme verblichen. Vermutlich weil ich tierisch mit meiner Müdigkeit zu kämpfen hatte. So griff ich erstmals zu einem koffeinhaltigen „Gummibärchen“ eines namhaften Sporternährungsherstellers. Egal ob Placebo oder echte Wirkung, es half zumindest kurzfristig. Der Abstieg, in dem ich wieder frischer war, weil einfach die Konzentration viel höher sein muss, führte uns hinab nach Les Chapieux. Langsam machte sich die Anstrengung der vergangenen Stunden bemerkbar. 50 km vorbei und schon über 8 Stunden unterwegs. Aber: Besser nicht drüber nachdenken wie viel Strecke noch folgt…

Neben meiner obligatorischen Suppe mit Nudeln, gab es ab hier für mich auch immer Tee und grundsätzlich auch Cola. Letzteres gegen Müdigkeit. Wirkt Wunder! Aus dem Ort hinaus führte die Strecke nun eine ätzende Straße Richtung Col de la Seigne, die zum Glück nach einer gefühlten Ewigkeit auf einen Forstweg mündete. Endlos nach vorne konnte man die Lichter der Stirnlampen sehen, ebenso beim Blick zurück Richtung Les Chapieux. Ich war schon wieder total müde. Wie sollte das denn bloß in der zweiten Nacht werden?!

Nach überschreiten des Col de la Seigne (wir befanden uns nun in Italien) folgte ein Stück bergab, um dann direkt in den Gegenaufstieg zum Col des Pyramides Cacaires hochzuführen, einem kleinen Schnapper mit 250 Höhenmetern, den der Veranstalter sich wohl im letzten Jahr hat einfallen lassen, um die Strecke etwas anspruchsvoller zu machen. Hier gab es in der Tat die einzigen Schneefelder des Tages (bzw. der Nacht) und verblocktes Gelände im Anstieg und auch auf der anderen Seite im Abstieg. Aufgrund der technischen Schwierigkeit staute es sich hier leicht, da zu allem Überfluss auch gerade ein paar Teilnehmer unterwegs waren, die es nicht merkten, wenn von hinten jemand schneller unterwegs war.

Wir näherten uns dem Lac Combal, einem verlandeten See auf einem Hochplateau, den ich andersherum bereits auch vom TDS kannte. Es war bereits früher Morgen und endlich wurde der Himmel wieder heller. Das würde sicher besser gegen meine Müdigkeit helfen als koffeinhaltige Gummibärchen, Cola und Tee gemeinsam… Hinter dem Lac Combal lag Courmayeur im Tal, zugedeckt unter einer nach Zuckerwatte aussehenden Wolkenschicht. Traumhaft. Viele Läufer, so auch ich, nahmen sich hier die Zeit, um ein paar Fotos zu machen. Ich rannte eine Weile mit einer US-Amerikanerin aus dem Nordosten der USA zusammen, die mir erzählte, dass ihr Mann ebenfalls dabei sei und er vorletztes Jahr unter 24 Stunden (!) gelaufen sei. Wie ich später im Netz gesehen habe, hatte sie selbst in den USA auch schon diverse Rennen gewonnen, sollte allerdings in der Frauenwertung beim UTMB keine Rolle spielen.

Nach der Verpflegung vom Lac Combal sollte noch ein Anstieg folgen, bevor es dann hinunter nach Courmayeur gehen würde. Ich hatte alles kürzer vom TDS im vorletzten Jahr in Erinnerung, aber die grandiose Landschaft im Sonnenaufgang bot Ablenkung. Speziell die herrlichen Ausblicke auf die links liegenden Gletscherzungen des Mont Blancs.

Italienischer Sonnenschutz

Nachdem der höchste Punkt erreicht war, ging es mit kurzer Zwischenverpflegung an der Skistation Col Checrouit (lecker: Obstsalat), endlich hinab ins Tal nach Courmayeur. Nach einem Stück Skipiste ging es links auf einen Pfad, der es in sich hatte. Stellenweise folgte er steil dem direkten Verlauf der Seilbahn, bog zwischenzeitlich in endlosen Serpentinen in den Wald ab und war durchgängig dick mit Staub bedeckt. Staub habe ich noch gar nicht erwähnt. Mehrere Tage trockenen Wetters hatten insgesamt zu sehr trockenen und staubigen Wegen geführt. Aber hier: Staub deluxe! Ca. drei cm dick auf dem Pfad. Obwohl das Läuferfeld schon stark auseinandergezogen war, staubte es so stark, das ich den Staub als Belag auf meinen Zähnen spüren konnte und einen erdigen Geschmack im Mund bekam. Bäh!

Irgendwann war jedoch endlich die Sporthalle Courmayeurs erreicht. Ich holte meinen Dropbag und ließ mich zur ersten längeren Pause nach 79 km Strecke und 4.500 HM nieder – beides folglich noch nicht einmal die Hälfte. Und langsam aber sicher wurde es anstrengend. Nach meiner obligatorischen Suppe und den koffeinhaltigen Getränken wechselte ich schnell in ein trockenes T-Shirt und staubfreie Socken, cremte Arme, Gesicht und Beine mit Sonnenschutz ein… Beine? Quatsch, die waren ja komplett bedeckt mit italienischem Sonnenschutz Marke Staub deluxe. Da hätte ich vorher noch duschen müssen, um an die Haut zu kommen. Es würde sicher auch so gehen (ging es tatsächlich auch – also: einfach mit Staub eincremen). Also: Dropbag abgeben, quer durch Courmayeur und ab hinauf Richtung Rifugio Bertone.

Wer hat den Stecker gezogen?

Es war der erste Anstieg in der Sonne und es kam wie es kommen musste: Ich bekam einen mit der Keule. Ich habe beim Laufen Sonne noch nie gut vertragen und werde sie wohl auch nie gut haben können. Nach der Hälfte des Anstiegs war ich kraftlos, mir war leicht duselig und Höhenmeter um Höhenmeter war eine einzige Quälerei. Nachdem die 700 Höhenmeter steiler Weg hinter mir lagen, ließ ich mich entkräftet auf eine Bank im Schatten fallen. Hier kamen mir erstmals Gedanken ans Aufgeben in den Kopf. Irgendwer säuselte in mir immer „Sebastian, du hast noch 85 km vor dir… Das war gerade mal die Hälfte…“! Irgendwie habe ich es dann doch geschafft mich auf den nächsten 8 km Streckenabschnitt zu konzentrieren, mich mit Wasser und Cola wieder gangbar zu machen, und im flachen Terrain auf der Flanke des Berges kam ich sogar mit gutem Laufschritt Richtung Rifugio Bonatti voran. Zwischendurch boten kleine Quellen immer wieder die Möglichkeit Kappe, Nacken und Arme feucht und kühl zu halten. Ein toller, abwechselungsreicher Pfad, mit der grandiosen Kulisse des Mont Blancs direkt nebenan.

Mit kurzem Zwischenstopp am Rifugio Bonatti ging es kurzerhand auf weiter schönem Pfad bergauf und bergab, um schließlich rund 300 Höhenmeter ins Tal hinunter nach Arnouvaz zu stürzen. Dort war ich schon wieder ziemlich am Anschlag und war froh meine üblichen Nahrungsmittel in mich schütten und ein wenig Pause machen zu können. Als nächstes Stand der Anstieg zum Grand Col Ferret an, ein steiles Biest, mit rund 800 HM. Kein Schatten. Kaum Quellen. Es war die Hölle für mich. Ich merkte im letzten Drittel bereits, dass ich unbedingt eine Pause brauchte, wollte mich aber nicht schon im Anstieg setzen oder legen, sondern mir das als Belohnung für den Pass aufbewahren. Ich hätte vermutlich keine 500 Meter weiter geschafft, musste mich oben völlig entkräftet auf der Grenze zwischen Italien und der Schweiz hinlegen und schloss für ein paar Minuten die Augen. Mist Hitze.

Aufgeben?

Nach ein paar Minuten machte ich mich auf den Weg bergab, konnte aber nicht laufen, da mir duselig wurde. So verbrachte ich die nächsten zwei bis drei Kilometer schnellen Schrittes bergab. Zum Glück kam eine Wasserstelle mit Dusche. Dort kühlte ich erst einmal Kopf und Arme, trank einige Becher kühlen Wassers und mir ging es deutlich besser. Zu allem Glück stand die Sonne schon so tief, dass der nächste Streckenabschnitt Richtung La Fouly bereits im Schatten lag. Und mit dem Schatten kam meine Kraft wieder zurück, ich konnte bergab wieder normal laufen, und so kam ich wieder halbwegs brauchbar voran. Mit einem Franzosen plaudernd lief ich gemeinsam Richtung La Fouly. Während ich am Pass noch über aufgeben nachgedacht hatte, dachte ich nun darüber nach, zu testen, was eine längere Pause bringen würde und legte mich auf eine Bank. Neben mir lag auch jemand, der plötzlich fragte „Kommst du auch aus Deutschland?“. Wir kamen ins Gespräch und es kam heraus, dass er in meiner Heimatstadt zur Arbeit geht. Die Welt ist klein und lustige Zufälle gibt es! Trifft man sich nach 100 km in einem Zelt beim Nickerchen. Gemeinsam machten wir uns schließlich auf den Streckenabschnitt Richtung Champex Lac.

Gemeinsam läuft es sich leichter!

Die nächsten 10 km gingen überwiegend bergab und André zog mich mit konstanter Geschwindigkeit an sicherlich 50 Teilnehmern vorbei, von denen ein Großteil gehend unterwegs war. Erst im Aufstieg nach Champex schickte ich André von dannen, um mein eigenes Tempo im Anstieg halten zu können. Mittlerweile donnerte es, und der Himmel hatte sich stark verfinstert. Gerade noch ohne Stirnlampe und trockenen Fußes kam ich in das riesige Verpflegungszelt. Mittlerweile tobte draußen ein richtiges Gewitter und ein Blick ins Regenradar verhieß nichts Gutes. Sicher noch 1 1/2 Stunden Regen und der Zug der Gewitterzelle war auch nicht klar erkennbar. Da mein Vorsprung auf das Zeitlimit 5 1/2 Stunden war, entschied ich mich gegen Gewitter und Regen und stattdessen für eine Mütze voll Schlaf im warmen, trockenen Matratzenlager – wie einige Mitstreiter auch. Sicherheitshalber hatte ich mir einen Wecker am Handy gestellt, um nicht plötzlich 5 1/2, statt 1 1/2 Stunden zu schlafen. Nach meinem Powernap regnete es immer noch und so zog ich Regenjacke und Regenhose an, tauschte den Akku an meiner Stirnlampe aus und machte mich im strömenden Regen auf den Weg.

Kraft aus dem Powernap

Der Schlaf hatte richtig gut getan und ich fühlte mich wieder viel fitter. Die nächsten Kilometer verliefen mehr oder weniger flach oder bergab und ich konnte wieder nach und nach viele Läufer überholen, die mich alle überholt hatten als ich Matratzenhorchdienst geschoben hatte. Gegen Ende des Flachstücks gehörte der Regen zum Glück der Vergangenheit an.

Drei Anstiege noch. Der erste hatte es direkt in sich. Steil, steil, steil. Vor meinem inneren Auge blinkte das Warnsignal „Achtung Überhitzung!!!“ auf und mir fiel auf, dass ich noch in meiner Regenjacke unterwegs war. Bei einem Franzosen und einer Japanerin war die Warnlampe offenbar fast zeitgleich ebenfalls angegangen. Stellenweise lief das Wasser hier in kleinen Flüssen über den Weg, mitunter knöchelhoch. Nasse Füße gab jetzt also auch noch kostenlos. Irgendwann als es endlich flacher wurde, konnte man sehen, dass es dafür noch Ewigkeiten mit „mäßiger“ Steigung bergauf ging. Wir näherten uns dem Pass und der Wind frischte derart auf, dass man wieder eine Jacke brauchte. Also wieder Rucksack abrödeln und Jacke herausholen. Da mein Akku im Rucksack steckte, musste ich mich verrenken, da ich sonst Stirnlampe und Akku getrennt hätte. Beim Aufsetzen hatte ich dann irgendwie den Rucksack verdreht und der Inhalt aus den seitlichen, offenen Staufächern purzelte in seiner Gesamtheit auf den Pfad. Aaarrrggh, was eine Sch…. Irgendwann waren dann Trinkbecher, Riegel, Gels und Müll wieder eingesammelt und ich konnte weiter. Oben angekommen ging es über einen herrlich laufbaren Pfad bergab Richtung La Giéte. An dem dort eingerichteten Kontrollpunkt, der glücklicherweise auch Verpflegung hatte, saßen vielleicht ein paar Gestalten rum – die hätten besser auch Mal Matratzenhorchdienst geschoben, dann ging es ihnen jetzt besser… Vermutlich hatten sie sich hingesetzt und waren instant eingeschlafen. Ich trank schnell eine Cola und einen Tee. Dank Colarausch und meiner Mütze voll Schlaf war ich glücklicherweise gar nicht müde und konnte direkt in den Abstieg gehen und wieder eine Reihe Läufer überholen.

Unten in Trient war wieder eine große Verpflegung angesagt und ich brauchte auch wieder einen Moment Zeit, um mich vom bergablaufen zu erholen. Am Tisch führte ich ein nettes Gespräch mit einem Engländer aus dem Lake Distrikt. Er war auch schon ziemlich fertig und sich nicht sicher, ob man so etwas nochmal mitmachen müsse.

Keine Laufuhr mehr

Zwei Anstiege noch. Da ich Depp vergessen hatte die Powerbank zu aktivieren als ich im Zelt geschlafen hatte, gab just nach Trient meine Uhr ihren Dienst auf und ich hatte keine Ahnung mehr in welcher Höhe ich mich befand, mit welchem Aufstieg ich unterwegs war, noch wie lange ich unterwegs war. Nervig. Ich war aber auch nicht gewillt irgendetwas aus meiner Tasche zu holen, um meine Uhr zu laden. Zur Not musste ein Blick auf mein Handy reichen. Auch dieser Anstieg zog sich wie Kaugummi. Zwischenzeitlich musste ich in die Büsche, da ich von jetzt auf gleich das Gefühl hatte, meine Blase platzt. Zu viel Cola?! Erleichtert setzte ich meinen Weg fort und wurde wie in allen Anstiegen wieder von einigen Teilnehmern kassiert, die ich dafür im folgenden Abstieg wieder einsammeln konnte.

Mit einsetzender Dämmerung erreichte ich tatsächlich irgendwann Vallorcine. Nur noch ein Anstieg. Nur noch 19 km. Sollte ich mich jetzt nicht noch verletzen, würde ich ankommen. Den Zieleinlauf würde ich mir nicht mehr nehmen lassen. Hier musste ich nochmal ordentlich Kraft tanken und trank leckeren Tee, der hier mit frischer Zitrone verfeinert wurde. Lecker!

Die flachen 3 km bis zum steilen Anstieg waren nichts mehr für meine müden Beine und gemeinsam mit einem Franzosen marschierte ich mit 10 min/km dahin. Unsere Unterhaltung war amüsant, da sein Englisch von französischem Akzent und einigen französischen Worten geprägt war, die es für mich etwas schwieriger zu verstehen machten. So oder so hatten wir jedenfalls Spaß! Im steilen Anstieg überholten wir uns immer wieder mal gegenseitig, im letzten Stück, das leider schon in der Sonne lag, musste ich aber abreißen lassen. Der letzte Berg ist geprägt von naturbelassenem oder behauenem Fels, durchmischt mit vielen Holzstiegen unterschiedlicher Höhe. Meiner Meinung nach besser zu steigen als der vorletzte Berg, wären nicht schon 155 km in den Beinen.

Nur fast oben…

Oben angekommen wollte ich gerade einen Kampfschrei ausstoßen, musste aber sehen, dass das echte Oben noch gute 2 km leichten Anstiegs entfernt vor mir lag. Shit. Irgendwann war aber auch das echte Oben am Tête aux vents erreicht. Ich ließ mich von einem Helfer kurz fotografieren, war froh endlich oben zu sein und stürzte mich in den vermeintlichen Abstieg. Die 4 km bis zur Bergstation La Flégère sind aber mehr ein munteres auf und ab, gespickt mit technischen Wegpassagen als ein reines Bergab. Mit neuen Beinen ein sehr cooler, technischer Trail, aber nicht mit den müden Kerlen, die bei mir unten rumbammelten. Das letzte Stück geht es dann nochmal eine ätzende Schotterstraße hoch. Aber dort ist man letztmals OBEN (OBEN) und es geht wirklich nur noch bergab. Während viele Teilnehmer gar nicht mehr verpflegten, sondern sich direkt auf die letzten 8 km machten, war ich wieder sonnengeschädigt und musste mich einen Moment hinsetzen. Zwei Cola und zwei Tee später ging es mir dann auch besser und ich fühlte mich wieder lauffähig.

Die ersten Meter über die Skipisten sind nervig. Der dann folgende Teil im Wald war für mich aber eine reine Freude! Im Kopf klickten die Kilometer herunter, während ich einen Teilnehmer nach dem anderen überholte. Meine Beine waren noch so gut! Keine muskulären Probleme, keine Knieschmerzen und das obwohl schon fast 10.000 HM Auf- und Abstieg absolviert waren. Wäre nicht die blöde Hitze gewesen.

Es wird klappen

Ich genoss jeden Meter, da im Kopf klar war, dass jetzt eigentlich nichts mehr anbrennen konnte. Die Mont-Blanc Umrundung mit Ihren 170 km und 10.000 HM war mein… Schließlich spuckte mich der Wald aus und ich näherte mich der Innenstadt. Zuschauer und Jubel wurden mehr und ich bog rechts entlang der Arvé ab – dem Fluss der Chamonix durchfließt – und wusste, dass es nur noch ein paar hundert Meter bis ins Ziel waren. Ich hätte vor Freude schreien können! Das taten allerdings schon die Zuschauer mit „Sebastian, trés bon!“ oder „Alléz, alléz!“.

Endlich im Ziel

Von wegen gehen, ich lief, was das Zeug hielt, und so bog ich letztlich um die letzte Ecke und konnte den großen Zielbogen am Place  du Triangle de l’Amitié, unter dem ich vor knapp 1 3/4 Tagen gestartet war, endlich vor mir sehen. Jetzt schrie ich!

Und ich habe mich selten so bei einem Zieleinlauf gefreut wie nach diesem Lauf! 41:03:48 Stunden unterwegs. Als 622. von 1337 männlichen Finishern bin ich ins Ziel gekommen. Bei einer Ausstiegsquote von 42%, die sicher zu einem nicht unerheblichen Teil auf das heiße Wetter zurückzuführen ist, für mich absolut ok. Vor allem vor dem Hintergrund, dass ich im mittleren Teil gedanklich schon aus dem Rennen raus war.

Was für Höhen und Tiefen ich durchgemacht hatte: Nie war ich gedanklich so oft mit der Option „Aufgeben?“ beschäftigt wie hier. Nie haben sich bei meinen bisherigen Rennen so viele Phasen des Leidens und des vernünftig Vorankommens abgewechselt. Nie war mein Wille mehr gefordert als bei diesem Rennen…

Wer ist Kronenbourg?

Im Ziel gab es dann eine Finisherweste (schwarz?) und das, worauf ich mich schon die letzten 100 km gefreut hatte. Ein Bier. Mit Alkohol. 🙂 Kronenbourg. Französisches Bier aus der Dose, aber egal. Bier halt. Zum Glück war ich gerade bei meiner zweiten Dose, als neben mir ein türkischer Landsmann seine Füße aus seinen Schuhen entpackte. Oder besser das, was davon noch übrig war… Himmel. Ob der masochistisch veranlagt seine Schuhe von innen mit Schmirgelpapier ausgekleidet hatte?! Neben mir lag eine Frau völlig desolat in der Wiese, die offenbar aufgegeben hatte und total enttäuscht war. Überall lagen Läufer auf dem schmalen Grünstreifen. Die meisten mit einem müden Lächeln im Gesicht und einer Dose Kronenbourg in der Hand. So wie ich.

Nach zwei Dosen Bier wurde der Weg zur Dusche fast zu einem größeren Abenteuer als der absolvierte Lauf. Müde schleppte ich mich Richtung Sportzentrum. Unterwegs traf ich einen Niederländer, der anhand seiner Startnummer als PTL-Teilnehmer zu erkennen war (330 km, komplett autonom, nur im Team zu laufen). Sein Kommentar in Essenz: „Never do it.“

Wolf

Unter der Dusche kam dann für mich das große Leiden, da ich mir den Wolf aller Wölfe gelaufen hatte. Auch hier hätte ich nochmal schreien können. Zwei Stellen zwischen den Oberschenkeln hatten keine Haut mehr. Was soll ich sagen: Lernen durch Schmerz, hatte ich sogar Vaseline im Dropbag gehabt… Viel Pflege und 14 Tage später sollten diese erst wieder verheilt sein. Meine Füße hingegen waren perfekt. Keinerlei Blasen, lediglich ein paar blaue Zehen. Für die absolvierte Distanz absolut okay.

Frisch gesäubert habe ich mich dann zur Bushaltestelle geschleppt und bin Richtung Courmayeur und damit zum Hotel gefahren. Beim Drei-Gang-Abendessen bin ich dann fasst eingeschlafen, sehr zum Amüsement der mit mir Speisenden. Am nächsten Tag hatte ich am Flughafen – nach üppigem Frühstück – schon wieder so Hunger, dass ich für 35 Euro im Bistro gegessen habe. Und auch die nächsten Tage waren eigentlich nur durch Essen gekennzeichnet. Kein Wunder, hatte ich zwei Tage nach dem Lauf noch 5 kg weniger auf der Waage als vor dem Lauf…

Rückblick, Ausblick

Resümee: Strecke technisch nicht so anspruchsvoll wie TDS. Landschaftlich im ersten Viertel nicht so prickelnd, da viel Skigebiet und Asphalt. Aber dann ist die Strecke meines Erachtens nach schon ziemlich genial. Tolle Pfade, viele Abschnitt top laufbar, sehr vielseitig. Zwei Nächte im Dunklen unterwegs sein, muss man mögen, hat aber auch etwas sehr Spezielles. Auch als Wanderung stelle ich mir die TMB traumhaft vor. Wer also genug Punkte hat, der sollte es meines Erachtens nach unbedingt wagen! HIN!

Und? Werde ich es nochmal machen? Im Mittelteil des Rennens hätte ich vehement mit „NEIN!“ geantwortet. Aber zum Ende des Rennens, die letzten Kilometer bergab, manifestierte sich bei mir bereits ein Gedanke: „Du musst hier nochmal starten, um das Rennen mit der Erfahrung des ersten Starts besser zu machen.“ Und daher: Klares JA. Ich werde nochmal versuchen einen Startplatz zu bekommen und dann mit einer deutlich besseren Zeit ins Ziel kommen.

Ach ja, und ich muss auch nochmal starten, um eine gescheite Finisher-Weste mitzubringen. Die 2016er Weste ist ja sowas von hässlich. Farbe: Müllsack schwarz, auch noch leicht glänzend, könnte aus einem Latex-Shop sein. Schnitt: Ebenfalls Müllsack, mit Löchern für Arme und Kopf. Das Material (wasserdicht, atmungsaktiv) ist zweifelsohne super, aber die Weste kann man nur im Winter im Dunklen tragen, wenn man nicht erkannt wird…

Und um der ganzen Diskussion um dem UTMB zu begegnen. Ja, es wird ein Riesenhype um diese Veranstaltung gemacht. Ja, manche Praktiken des Veranstalters sind fragwürdig (ITRA, Namensrechte für Ultratrail etc.). Ja, es gibt noch viele andere tolle Rennen. Trotzdem werde ich wieder versuchen einen Startplatz zu bekommen, da ich in meinem Läuferleben noch nichts Tolleres erlebt habe und mir kaum vorstellen kann, dass ein anderer Veranstalter auf diese top organisierte Veranstaltung noch einen drauf setzen kann. Und der ganze Hype: Ich finde ihn angemessen. PUNKT.

Danke an

  • Meine Frau, die diesen Wahnsinn erduldet.
  • Meine Kinder, die mittlerweile regelmäßig mit auf die Trails gehen. 🙂
  • All die, die mein Rennen verfolgt und immer wieder aufmunternde Worte per Kurznachricht gesendet haben!
  • André für das Ziehen zwischen La Fouly und Champex Lac! Es hat riesig Spaß gemacht!

 

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